Sehr geehrter Herr Rahmstorf,
eigentlich wollte ich Ihnen ja auf Ihre Twitter-Kritik zu meinem WELT-Kommentar auf Twitter antworten. Ich mache es lieber hier, das ist übersichtlicher.
Mir ist vorab wichtig zu betonen: Daran, dass der Mensch eine gefährliche Erwärmung ausgelöst hat, gibt es keine vernünftigen Zweifel. Wir diskutieren hier ein anderes Thema. Hier geht es um den Klimawandel in den letzten Jahrtausenden (in dem es zudem ziemlich sicher nicht so warm war, wie es Szenarien für die Zukunft zeigen).
Ihre Kritik hat 3 Ebenen:
1) Persönliche Ebene
2) Politische Ebene
3) Inhaltliche Ebene
Persönliche Ebene:
Sie unterstellen mir unlautere Methoden, Diskreditierungsversuche, Schlampigkeit, Unsinn. Diese Ebene klammere ich zunächst aus, weil sie ablenkt.
Politische Ebene:
Millionen Menschen, die heute schon unter der Klimakrise litten, sei es nicht egal, wenn ich „so einen Unsinn schreibe“. Kritischer Journalismus als Gefahr für Menschenleben, ich würde Millionen Menschenleben aufs Spiel setzen. Ich weise das zurück. Kommen wir lieber zum Inhaltlichen.
Wissenschaftlicher Inhalt Ihrer Kritik:
Mein Artikel ist korrekt, ich weise Ihre Kritik zurück.
Kontext: Im „Heute Journal“ wurde Ihre Grafik gezeigt, die den Klimawandel der letzten 20000 Jahre zeigen sollte.
Nachdem ich Ihre Grafik im „Heute Journal“ mit großer Verwunderung gesehen hatte, fragte ich vier der renommiertesten Paläoklimatologen, die bedeutende Temperatur-Rekonstruktionen in der Fachliteratur publiziert hatten, nach ihrer Meinung. Alle kritisierten die Grafik scharf, einige der Aussagen zitierte ich in meinem WELT-Kommentar:
Die Experten sagen also, dass keine Aussage möglich wäre darüber, ob es heute wärmer ist als zu anderen Warmzeiten der vergangenen 20000 Jahre. Das fand ich eigentlich auch nicht überraschend, angesichts der gewaltigen Unsicherheiten und Wissenslücken. Ihre Grafik aber zeigt das Gegenteil: Heute wäre es demnach ohne Zweifel wärmer als während aller Zeiten zuvor seit der Eiszeit.
Es geht um diese Grafik von Ihnen aus dem „Heute Journal“. Sie soll den Verlauf der globalen Durchschnittstemperatur seit der Eiszeit darstellen. Aktuell wäre es demnach erheblich wärmer als während aller Zeiten seither. Diese Aussage ist wissenschaftlich nicht haltbar.
Die Temperatur wird erst seit ca. 120 Jahren systematisch gemessen. Für die Zeit zuvor beruht sie auf indirekten Befunden wie zum Beispiel auf Baumringen oder Korallen („Proxys“). Dass die Aussagekraft der Proxys umstritten ist, soll hier nicht Thema sein (aber es gibt ernste Probleme!); aus weiten Regionen der Erde gibt es zudem kaum Proxys.
Setzt man die Proxys als okay voraus, gibt es ein weiteres Problem: Die Abdeckung wird über die Zeit immer dünner, je weiter man zurückschaut. Manchmal müssen Hunderte Jahre als ein einziger Temperaturwert dargestellt werden. Hier die Erklärung dazu aus meinem WELT-Kommentar:
Die Hauptprobleme Ihrer „Heute-Journal“-Grafik sind:
- Die Einengung des Unsicherheitsbereichs der Kurve, also die damit explizit getroffene Behauptung, die aktuelle Erwärmung wäre ohne Zweifel erheblich größer als alle anderen Warmzeiten des Holozäns.
- Das Anhängen der NASA-Temperaturen der letzten 120 Jahre, ohne darauf hinzuweisen, dass für frühere Zeiten 120 Jahre allenfalls als Durchschnittswert dargestellt werden können, manche Erwärmung also nicht erfasst worden sein könnte.
- Dass Ihre Kurve fachlich unbegutachtet ist (dazu gibt es eine nachträgliche Anmerkung vom 13.8., siehe unten).
Herr Rahmstorf, Sie nennen für Ihre „Heute Journal“-Grafik drei Quellen: Marcott et al. 2013, Shakun et al. 2012, plus die gemessenen Temperaturen der Nasa seit 1880. In den genannten Studien findet sich aber ihre Grafik nicht. Sie wurde nämlich nicht fachlich begutachtet.
Ihre Antwort dazu ist irritierend:
In Ihrem Thread von gestern mit Ihrer Kritik verweisen Sie als Beweis für die Begutachtung Ihrer Grafik auf einen Kommentar von Ihnen im Fachmagazin „Nature Climate Change“ von 2016, in dem Sie die Grafik integriert hatten.
Aber: Kommentare in Fachmagazinen werden normalerweise nicht begutachtet, es sind persönliche Meinungen. Es bleibt also dabei: Ihre Grafik wurde nicht begutachtet.
–> Korrektur 13.8.: „Nature Climate Change“ erklärte mir heute, dieser Kommentar wäre begutachtet worden. Thema des Kommentars waren allerdings die Klimaziele von Paris, es ging also nicht um Paläoklimatologie. Die Grafik diente als Schaubild, sie war keine eigenständige wissenschaftlich Arbeit; eine fachliche Prüfung der Kurve dürfte also kaum stattgefunden haben. Aber geschenkt und akzeptiert.
Als Quelle auf Ihrer „Heute Journal“-Grafik hatten Sie, Herr Rahmstorf, ja ohnehin nicht „Nature Climate Change“ angegeben, sondern Marcott et al und Shakun et al. Schauen wir also rein in die beiden Arbeiten.
Schon in der Zusammenfassung von Marcott et al steht, dass es 10% der vergangenen 10.000 Jahre wärmer oder gleich warm gewesen sein könnte wie heute:
Ihre Grafik im „Heute Journal“, Herr Rahmstorf, schloss aber aus, dass es warme Zeiten wie die aktuelle im Holozän gegeben haben könnte. Ihr fehlender Unsicherheitsbereich ist ein sehr ernstes Problem. Besser gesagt: eine Irreführung.
Marcott schreibt, dass man aufgrund der schlechten Auflösung der Proxy-Daten Temperaturvariationen innerhalb von 500-Jahres-Abschnitten (im Durchschnitt: 120-Jahres-Abschnitte) nicht sehen kann in den Rekonstruktionen.
Man kann also prinzipiell (!) nicht wissen, ob die Temperaturen der letzten 50 Jahre oder mehr irgendwann überschritten wurden, die Zeit der aktuellen Erwärmung ist zu kurz. Frühere Erwärmungen von Hunderten Jahren Dauer könnten in den Daten fehlen.
Ihre Grafik aber suggeriert, dass die aktuelle Erwärmung alle Erwärmungen des Holozäns übertrifft. Das ist das Problem.
Das bestätigen ja auch Kaufmann et al., die Ihre beiden Quellen Marcott und Shakun zusammengefasst haben: Demnach könnte es wärmere Zeiten gegeben haben in den vergangenen Jahrtausenden als die aktuelle, das steht sogar schon im Abstract bei Kaufmann et al:
Ihre „Heute Journal“-Grafik, Herr Rahmstorf, aber zeigt das nicht. Sie zeigt, dass die aktuelle Erwärmung bei Weitem herausragt. Sie räumen nicht mal die Möglichkeit ein, dass es irgendwann wärmer gewesen sein könnte, ihr Unsicherheitsbereich ist eben deutlich zu klein, liegt deutlich unterhalb der aktuellen Erwärmung. Das ist unhaltbar.
Sie schreiben danach in ihrem Thread „niemand hat behauptet, es wäre bereits wärmer als während aller Jahre seit der Eiszeit“.
Doch, genau das bedeutet Ihre Grafik: Die aktuelle Erwärmung, Ihr roter Strich mit den hochaufgelösten Nasa-Daten, überragt bei Weitem den Unsicherheitsbereich der Vergangenheit:
Es gibt Ihrer Grafik zufolge also nicht mal eine kleine Chance, dass es im Holozän irgendwann mal wärmer gewesen sein könnte. Das widerspricht den von Ihnen selbst zitierten Arbeiten von Marcott und Shakun.
Erschwerend für Ihre Grafik kommt hinzu, dass die Temperatur-Rekonstruktionen der Vergangenheit nicht mit Modell-Simulationen übereinstimmen, wie Marsicek et al schreiben: https://www.nature.com/articles/nature25464
Der Befund deutet zusätzlich darauf hin, dass die Temperatur-Rekonstruktionen ungenügend sind. Wesentlich der Standort eines Proxys entscheidet der Studie zufolge über den Temperaturwert des Proxys und damit über unser Bild vom Klima der Vergangenheit. Eine weitere gravierende Unsicherheit!
Jener Modell-Studie zufolge scheinen regionale Unterschiede der Klimaveränderungen groß gewesen zu sein – kleine Änderungen in der Lage einer Proxy-Quelle könnten demnach große Änderungen in der rekonstruierten Temperatur bewirken. Wie groß der Fehler ist, weiß niemand.
Aber all diese immensen Unsicherheiten unterschlägt Ihre Grafik.
Sie verweisen in Ihrem Thread noch auf eine private und wissenschaftlich nicht begutachtete WordPress-Seite und den 1.5-Grad-Report des IPCC:
Der Autor der WordPress-Seite hat versucht zu zeigen, dass der Prozess der Datenreduktion Erwärmungsextreme nicht unterdrückt, sie also in den Daten sichtbar sein dürften. Zu den Unsicherheiten der Proxys selbst, macht er indes keine Aussagen, die bleiben also bestehen. Es ist aber ja eh keine Studie, sondern nur eine private Berechnung.
Der 1.5-Grad-Bericht bietet keine neue begutachtete Literatur, sammelt nur das Wissen ein, er müsste sich also die gleichen Vorwürfe gefallen lassen wie Ihre Grafik für fehlende Unsicherheitsbereiche.
Zur Seite gesprungen ist Ihnen auf Twitter (neben anderen befreundeten Klimatologen) Ihr Freund, der bekannte Klimaforscher Michael Mann, der mich als „Propagandist“ bezeichnet.
Mann sieht sich in einem „climate war“ gegen jeden, der es mal wagte, seine berühmte Klima-Grafik zu kritisieren, den sogenannten „Hockeyschläger“ (Temperaturveränderungen der letzten 1000 Jahre auf der Nordhalbkugel). Seine entschiedene Gut-Böse-Rhetorik hat ihn bei Aktivisten sehr populär gemacht (ein zentrales Phänomen der Klimadebatte).
Näher möchte ich an dieser Stelle darauf nicht eingehen. Aber zu sagen, Mann wäre in der Forscher-Community wegen seines Verhaltes umstritten, wäre eine starke Untertreibung.
Ich kann Mann dennoch ein bisschen verstehen, weil niemand derart von der Skeptikerlobby (zu Unrecht) traktiert worden ist wie er (außer vielleicht noch Phil Jones und Ben Santer).
Manns berühmter Hockeyschläger wurde jahrelang aber ja auch von Wissenschaftlern stark kritisiert. Auch ich hatte die harte Kritik vieler Klimaforscher an Manns Hockeyschläger-Grafik in Artikeln vor rund 15 Jahren dokumentiert (nicht ganz fehlerlos, zugegeben).
Seither sehe ich mich den Schmähungen von Mann ausgesetzt, die stets auf große Begeisterung bei Aktivisten auf Twitter stoßen.
Zum Hockeyschläger-Jubiläum hatte ich trotzdem recht feierlich einen Twitter-Thread getwittert, weil ich mir meine Begeisterung für bewundernswerte Wissenschaft nicht von Hasstiraden ihrer Autoren kaputtmachen lassen möchte:
Nun noch kurz zu Ihren persönlichen Vorwürfen, ich würde schlampig arbeiten, oder wollte gezielt Stimmung machen. Ich bin seit 23 Jahren Umweltjournalist, Fehler habe ich immer wieder gemacht, auch schlimme. Aber ich dürfte einer der Journalisten sein mit den meisten klimaalarmistischen Artikeln der letzten 23 Jahre (Kollegen nannten mich schon „Master of Disaster“).
Robuste alarmierende Nachrichten aus der Klimaforschung habe ich stets entsprechend berichtet, wie z.B. den letzten UN-Klimareport:
Streit gibt es immer nur über meine wissenschaftskritischen Berichte. Warum eigentlich? Warum provoziert Kritik am meist positivistischen und häufig aktivistischen und PR-getriebenen Klimadiskurs so sehr, vor allem außerhalb der Wissenschaft? Diese Frage versuche ich schon lange zu ergründen.
Als mit Fachwissen belasteter Journalist sehe ich eben (leider?), dass der öffentliche Diskurs über den Klimawandel durch Grafiken wie jene im „Heute Journal“ auf bedenkliche Weise verzerrt wird. Die Leute sollten aber die Chance haben, ein realistisches Bild von der Erwärmung und ihren riskanten Folgen zu bekommen, finde ich.
Wer, wenn nicht fachlich geübte Wissenschaftsjournalisten sollten Übertreibungen und Untertreibungen kenntlich machen?
Dass mein Kommentar hart formuliert war, gebe ich zu; das Pointierte war der Form geschuldet, abstrakte Themen sollten wenigstens flott geschrieben sein, wenn sie auf Seite 2 stehen.
Dass Sie nun in kurzer Zeit zweimal in meinen Artikeln vorkamen, war dem Zufall und ihrer starken Medienpräsenz geschuldet: Ihre Beiträge hatten jeweils hohe Wellen in großen Medien geschlagen (ZEIT/ZDF) und ich hielt beide für kritikwürdig.
Sie sind nun mal der bei Weitem einflussreichste Klimaforscher in Deutschland, Herr Rahmstorf. Sie können Massenmedien so ziemlich nach Ihrem Gusto bespielen, haben eine „Spiegel“-Kolumne, sind omnipräsent.
Ich finde, ein Wissenschaftler mit Ihrem Einfluss müsste sich auch begründete Kritik gefallen lassen können. Es war ja noch nicht mal meine Kritik, sondern die Ihrer renommierten Kollegen, die ich referiert habe, die eben wesentliche Probleme Ihrer Grafik geltend machen.
Ihre Position weicht ja nun mal häufig ab vom UN-Klimarat und von vielen Ihrer Kollegen (zum Beispiel bei Pause der Erwärmung, Meeresspiegelanstieg, Kipppunkte, Klimamodelle etc). Ihre subjektive Deutung der Wissenschaft erlaube ich mir zu diskutieren, indem ich sie anderen Klimaforschern vorlege.
Wohlgemerkt: Sie haben häufig recht oder recht behalten, aber auch Fehler gemacht; ich habe großen Respekt vor Ihrer wissenschaftlichen Arbeit, was auch sonst?
Aber wer, wenn nicht ein fachkundiger Wissenschaftsjournalist sollte sich mit Ihren Beiträgen in Massenmedien kritisch auseinandersetzen (die Kritik an wissenschaftlichen Veröffentlichungen hingegen überlasse ich der peer review und der Debatte unter Experten, wiewohl meine Kritik ja auch diesmal von Ihren Kollegen stammte).
Zum Schluss erlauben Sie mir bitte noch einen Appell, sehr geehrter Herr Rahmstorf.
Der Klimawandel ist von höchster gesellschaftlicher Relevanz, da braucht es dringend Kritik am öffentlichen Diskurs. Wenn wir die Unsicherheiten zum Klimawandel nicht mit einbeziehen in die Debatte, wird es große Probleme geben, davon bin ich überzeugt.
Das Unwissen über den Klimawandel ist riesig, die Risiken ebenso. Ich würde gerne das Wissen realistisch darstellen, sonst gehen die Vorbereitungen auf die Folgen der Erwärmung fehl, schätze ich.
Ein gutes Beispiel ist der Meeresspiegel-Anstieg, einer der am besten erforschten Klimawandel-Folgen: Die neuen Deichfüße sind ja so breit gebaut, dass sie die Unsicherheiten einbeziehen bezüglich der Klimaszenarien – Deiche können aufgestockt werden je nach Bedarf. Ein Erfolg der Unsicherheiten-Kommunikation!
Ihr Kommunikationsansatz ist die Betonung der Risiken. Das respektiere ich, finde es auch plausibel und produktiv. Sie haben aber eine andere Rolle als ich. Journalisten sollten auch über Wissenschaft einen kritischen Diskurs pflegen, finde ich, das erhöht die Glaubwürdigkeit aller und die Qualität der Argumente.
Ich habe in meinen 26 Jahren in der Klimadebatte so extrem viel Quatsch gelesen, gesehen und gehört über den Klimawandel (gelegentlich auch von mir selbst, leider), dass Sie vielleicht mein Bedürfnis verstehen können, die Debatte stärker in der Wissenschaft zu verankern und sie weniger nach medialen Erregungsmustern auszurichten.
Ich würde gerne auch ihre meist unsichtbare und zurückhaltende Kollegenschaft einbeziehen – die meisten Ihrer Kollegen wagen sich ja eher nicht an die Medienfront, viele aus Sorge in die Gut-Böse-Debatte zu geraten, als „Klimaleugner“ gebranntmarkt zu werden, sofern sie öffentlich über die erheblichen Unsicherheiten des Klimawissens sprächen.
Eine offene Debatte über Risiken und Unsicherheiten des Klimawandels erscheint mir als die einzig brauchbare Grundlage, um sich auf die Folgen der Erwärmung vorbereiten zu können. Über einen Dialog mit Ihnen darüber würde ich mich freuen, gerne auch öffentlich.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Bojanowski